Tóth Ágnes: Németek Magyarországon.1950-1970

Umschlag des Buches

Wenn man das Bestehen der einzelnen ungarndeutschen Gemeinschaften aus einer breiteren geschichtlichen Perspektive beobachtet, kann man feststellen, dass es seit der Ansiedlung im 18. Jahrhundert bis Ende des Zweiten Weltkrieges ein fast ungestörtes Zusammenleben mit der Mehrheitsbevölkerung erfolgte. Mit seinem Anführer, Jakob Bleyer, versuchte das Ungarndeutschtum noch in den 1920er und 1930er Jahren sich politisch einheitlich zu organisieren. Nach Bleyers Tod war in der Volksgruppe – wegen der Tätigkeit des von Hitlerdeutschland beeinflussten Volksbundes – jedoch eine Spaltung zu beobachten. Die größten Änderungen erfolgten aber mit den Schicksalsschlägen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

 

 

 

 

 

Die Mitglieder der Erlebnisgeneration, die sich noch an diese Zeiten erinnern können, sterben langsam aus. Manche Folgen der tragischen und traurigen Geschehnisse wie die Enteignungen, Entrechtungen, Verschleppung zur Malenkij Robot und Vertreibung haben aber auch heute, nach mehr als 75 Jahren ihre Auswirkungen.  Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Hälfte der Volksgruppe – etwa 167.000 Menschen – in die damalige amerikanische und um die 50.000 Ungarndeutschen in die damalige sowjetische Besatzungszone Deutschlands vertrieben. So soll es heute mehrere Zehntausende von Nachfahren geben, die heute eher als „weite” oder gar als „vergessene Verwandten” und nicht mehr als engere Familienmitglieder der einst einheitlichen ungarndeutschen Familien verstanden werden. Die Tragödien wirkten nicht nur auf einzelne Familien aus, sie hatten ganze Dorfgemeinschaften zerschlagen. Die Ungarndeutschen hatten in den vergangenen 75 Jahren auch einen enormen Sprach- und Identitätsverlust zu erleiden. Letztere waren Resultate der kommunistischen Machtübernahme nach 1948.

Die Historikerin Dr. Ágnes Tóth ging mit diesem, als politische Gesellschaftsgeschichte definierten Buch nicht nur nach den Gründen der vorhin erwähnten Problemen nach. Sie hat die Epoche zwischen 1950 und 1970 aus mehreren Seiten, bislang mangelhaft erforschten Aspekten untersucht. Diese waren die Ziele und Bestrebungen der politischen Macht, die Methoden der Verwirklichung, die Reflexionen seitens der Gemeinschaft und ihre Mitglieder sowie die Auswirkungen der demnach folgenden Prozesse. Das auf zahlreichen Archivquellen und Sekundärliteratur basierende Fachbuch wurde in sieben größeren Kapitel aufgeteilt. Im ersten kann man über die Nationalitätenpolitik des Landes zwischen 1945 und 1970 lesen. Die Sowjetisierung des Landes bis 1948/49, über die totale Diktatur bis 1955, die Epoche nach der Revolution 1956 bzw. die Änderungsphase der Nationalitätenpolitik zwischen 1965 und 1970 wurden hier auch beschrieben. In dieser Änderungsphase wurde das Prinzip des Automatismus aufgegeben, das auf der falschen Erwartung basierte, dass sich die Nationalitätenprobleme während des Aufbaus des Sozialismus automatisch von alleine lösen und die Nationalitäten in die Mehrheitsgesellschaft vollständig integrieren würden. Die Vertreibungen und Verschleppungen haben ganze Familien zerrissen. Probleme der Familienzusammenführungen und Repatriierung, aber auch die Entstehung, die Geschehnisse und die Auflösung des Zwangsarbeitlagers in Tiszalök werden im zweiten Kapitel aufgedeckt. Hier wurden Ungarndeutsche unmittelbar nach ihrer Entlassung aus der Sowjetunion (Malenkij Robot) noch weitere Jahre zur Zwangsarbeit in der eigenen Heimat eingesetzt. Ihre Entlassung und die endgültige Auflösung des Lagers im Jahre 1956 ist einem ehemaligen Vertriebenen, der damals schon als CDU-Politiker tätig war, Dr. Ludwig Leber zu verdanken. Im dritten Kapitel hat die Autorin die Problematik der Volkszählungen und die sozioökonomische Lage der Ungarndeutschen untersucht. Im vierten und fünften  Kapitel wurde die immer schlechtere Lage des Nationalitätenunterrichts erörtert. Im folgenden, längeren geht es um den 1955 gegründeten Kulturverband der Deutschen Werktätigen in Ungarn (später Demokratischer Verband der Deutschen in Ungarn bzw. Verband der Ungarndeutschen) und die Tätigkeit des Generalsekretärs Dr. Friedrich Wild. Im abschließenden Kapitel kann man über die Schwierigkeiten und Probleme zwischen der Staatsmacht und der ungarndeutschen Printmedien – wie über die im Jahre 1954 gegründete Freies Leben Zeitschrift und ihre Nachfolgerin,  die ab 1957 herausgegebene Neue Zeitung – lesen.

Die Autorin hat in dieser Arbeit viele, bislang unbekannte Zusammenhänge aufgedeckt. Als Schlussfolgerung kann man auch feststellen, dass das Ungarndeutschtum von der kommunistischen Macht während der untersuchten Epoche nicht als eine eigenständige ethnische Gruppe behandelt wurde.

Wir empfehlen das Werk allen, die bislang unbekannte Zusammenhänge und Prozesse über die Lage der Ungarndeutschen zwischen 1950 und 1970 aus mehreren Aspekten und aus einem anspruchsvoll zusammengestellten historischen Fachbuch kennenlernen möchten.

Tóth Ágnes: Németek Magyarországon. 1950-1970

(Deutsche in Ungarn. 1950-1970)

Budapest : Társadalomtudományi Kutatóközpont-Argumentum Kiadó., 2020.

578. S.

Sprache: Ungarisch

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