Karl Reil: Stifuldter

Umschlag des Buches

Wer seine Kenntnisse über die Ansiedlung der Ungarndeutschen erweitern möchte oder sich nur einfach für diese Epoche interessiert, kann sich dank verschiedener historischer Fachbücher, Monografien, Studiensammlungen und Konferenzbände reichlich bedienen. Man kann behaupten, dass „das Jahrhundert der Ansiedlung” gut erforscht ist und es kein Mangel an Recherche besteht, zumindest wenn man den Bestand der Ungarndeutschen Bibliothek als Ausgangspunkt nimmt. Dasselbe gilt auch für die Werke – darunter sind auch die literarischen zu verstehen -, die die Geschehnisse des 20. Jahrhunderts und Themen wie Malenkij Robot, Enteignung, Vertreibung, Entrechtung und das Leben der Ungarndeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in den Fokus bringen. Es ist ein bisschen seltsam, dass die Thematik der Ansiedlung die Fantasie der Autoren weniger fliegen ließ darüber zu schreiben. Zumindest was es die ungarndeutschen Romane betrifft. So ist es immer erfreulich, wenn aus einem Nachlass eine solche Rarität wie dieses, 1991 im Selbstverlag von Karl Reil herausgegebene Buch auftaucht, und damit die Anzahl der „Ansiedlungsromane” im Bestand unserer Bibliothek erhöht.

Die Erzählung fängt mit einem idyllischen Bild an: Der Hauptfigur, der 80-jährige Caspar Rogner, sitzt vor seinem Presshaus unter dem Nussbaum auf dem Weinberg und seinen Wein genießend sinniert er über das im Tal liegende ungarndeutsche Dorf, Kemend. Der Roman hat eine realitätsbezogene Handlung, die Figuren und Ortschaften existierten auch in der Wirklichkeit, so gab es am selben Tag, also am 13. August 1773 in Kemend wirklich ein heftiges Gewitter. Dessen Folge war ein solcher sintflutartiger Wolkenbruch, dass die Wassermassen sogar den Nutzboden in die Täler mit sich schleppten, wonach es noch lange Jahre dauerte, bis die Ackererde wieder hinaufgetragen wurde. Der alte Caspar versucht den Jüngeren zu helfen, um Heu vor dem Sturm zu sammeln, wird aber von der heftigen Sintflut mitgerissen und „landet” letztlich auf einem Baum. Die Nacht muss er hier verbringen, so hat er Zeit über sein Leben als Kolonist nachzudenken, da er 1723 als Anführer der ersten größeren Gruppe in Kemend ankam, wo er Jahre zuvor als Kleinkind schon mal gelebt hatte. Der Roman behandelt 90 Jahre Zeitgeschichte, denn es wird auch über die Befreiung Ofens erzählt. Caspar erinnert sich an seinen Vater, der als Soldat mit den vereinten christlichen Truppen, die überwiegend aus Deutschen bestand, das Land von den Türken in verschiedenen Schlachten befreite. Der einstige Soldat gründete später eine Familie in Kemend. Sie lebten unter ärmsten Umständen und mussten viel Leiden ertragen. Caspar musste als Kleinkind zusehen, wie seine Eltern während der Kurutzenkriege von einer Räuberbande ermordet wurden. Als Waisenkind wird er nach Wien gebracht. Nach weiteren abenteuerlichen Erlebnissen, kommt er schon als gelehrter und erfahrener Mann schließlich bei den Verwandten auf deutschem Boden an, wo er auch seine Frau kennenlernt. Von dem Fürstabt von Fulda wird er beauftragt eine Kolonistengruppe nach Kemend zu führen, dort beginnt er sein neues Leben als deutscher Kolonist. Trotz des Startkapitals, der mitgebrachten Werkzeuge, Tiere und des Saatguts, trotz der zugewiesenen Grundstücke, die im Vergleich zu den auf deutschem Boden groß sind, ist das Leben anfangs enorm hart. Es muss viel gerodet und gebaut werden, viele fielen Krankheiten und der Hungersnot zum Opfer. Aber nach 50 Jahren, als der alte Caspar auf dem Baum auf seine Rettung wartet, ist Kemend dank der fleißigen und beharrlichen Kolonisten schon eine blühende Siedlung.

Diesen Roman empfehlen wir Allen, die die Ansiedlungsgeschichte der ungarndeutschen Dorfes Kemend aus einer realitätsnahen, einer Ortsmonografie ähnlichen Erzählung kennenlernen möchten.

Karl Reil: Stifuldter
Bad Dürrheim-Biesingen : Selbstverlag, 1991.
212. S., Ill.
Sprache: Deutsch

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