„Denn schwach und vergänglich ist ein Reich, in dem nur eine Sprache gesprochen wird und einerlei Recht gilt…” – Die oft zitierte Mahnung von König St. Stephan I. von Ungarn an seinen Sohn, den Herzog St. Emmerich, zur Gastfreundschaft wird in Ungarn seit Jahrhunderten unterschiedlich interpretiert. Heute ist es in der Gesellschaft umstritten, inwieweit das Land Menschen anderer Religion, Sprache oder Kultur aufnehmen soll. Die ungarische Gastfreundschaft war jedoch bereits im Mittelalter ein Begriff. Dank der geopolitischen Lage und der jeweiligen „Willkommenspolitik” war das Land immer ein Vielvölkerstaat. In Ungarn zählt man – zusammen mit den Ungarndeutschen – dreizehn anerkannte Nationalitäten. Es gibt außerdem auch Religionsminderheiten wie die Juden, oder auch andere ethnische und religiöse Gruppen sowie ungarische Volksgruppen in einzelnen Regionen mit einer speziellen Kultur. Das moderne Ungarn ist also keineswegs ein homogener Nationalstaat.
János Bráz, Autor des hier vorgestellten Buches, ist 1951 in Tibolddaróc im Nordosten Ungarns geboren. Neben verschiedensten Beschäftigungen war er als ein aktiver, vielseitiger und produktiver Journalist in der Stadt Wesprim tätig. Er hat schon mehrere Novellen und kurze humorvolle Satiren veröffentlicht. Selber versteht er sich nicht als Autor, sondern eher als einer, der sich gerne mit dem Schreiben beschäftigt. So hat er sich auch mit der Nationalitätenpolitik Ungarns und dem zum Wohl des Landes geleisteten Beitrag der Nationalitäten bis 2013 auseinandergesetzt und schließlich dieses Buch 2014 herausgegeben. Bráz ist kein Historiker, daher definiert er selber sein Werk auf keinem Fall als ein wissenschaftliches Fachbuch. Er versuchte anhand seiner eigenen Gedanken und weiterer Quellen ein wissensvermittelndes, belehrendes Buch zu schreiben. Wir können im Band über die kurze Geschichte, das Selbstverwaltungswesen, das kulturelle Leben oder das Unterrichtswesen der Ungarndeutschen auch lesen. Ohne Anspruch an Vollständigkeit wird über verschiedene Siedlungen Ungarns berichtet, deren Ortsbezeichnung – wie Beloiannisz, Lengyeltóti, Ratzenmarkt, Deutschütten oder Saswar – auf eine ursprüngliche, da ansässige Nationalitätenbevölkerung hinweist. Über Siedlungen wie Banda oder Werischwar, die bis heute eine beträchtliche deutsche Minderheit in ihrer Gesamtbevölkerung aufweisen, aber auch über bekannte ungarische Persönlichkeiten mit Nationalitätenabstammung kann man vieles erfahren. Auf den letzten Seiten hat der Publizist sich auch getraut auf die politisch so umstrittenen Themen der Migration in Europa und in Ungarn einzugehen, wobei er die Gefahr der Islamisierung des Kontinents und Verbreitung des Terrors befürchtet. Andererseits sehnt er sich nach einer Versöhnung, und kritisiert den – in privaten Kreisen – auftauchenden und schleichenden, immer noch existierenden Antisemitismus und Rassismus im Land.
Das Buch empfehlen wir allen, die anhand der subjektiven Meinung eines Publizisten darüber lesen möchten, warum die Nationalitäten für Ungarn wichtig sind, und wie Migration in der Vergangenheit und Gegenwart interpretiert werden kann.
Bráz János: Szél-Rózsa-Bokor. A befogadó ország
(Vendéglátó magyarok a Kárpát-medencében)
Wind-Rose-Gebüsch. Das aufnehmende Land
(Gastfreundliche Ungarn im Karpatenbecken)
165 S. Ill.
Veszprém : Selbstverlag, 2014.
Sprache: Ungarisch
Die empfohlenen Bücher sind in der Sammlung der Ungarndeutschen Bibliothek – wenn nichts weiteres Angegeben – nur zur Leihe zugänglich.
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