Ungarn wurde vor 76 Jahren – im April 1945 – von der Besetzung durchs Nazideutschland vollständig befreit. So hieß es zumindest offiziell, dass der Krieg am 4. April auf ungarischem Boden zu Ende ging. Während der Jahrzehnte der kommunistischen Diktatur versuchte man die Befreiung durch Mittel der politischen Propaganda als etwas rein Positives darzustellen und ihre Schattenseiten zu verleugnen. Die Gräueltaten der Sowjetsoldaten, das Leid der Zivilbevölkerung, so auch die Verschleppung der Ungarndeutschen in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit versuchte man fast bis zur Wende völlig zu verschweigen.
Es wissen vielleicht nur wenige in unserem Land, dass auf dem Gebiet der Tito-Jugoslawien, so auch auf den heutigen Gebieten von Serbien, in der Vojvodina – fast unmittelbar nachdem Titos Partisanen mit der Sowjetarmee 1944 die Gebiete „befreit hatten” – Arbeits- und Vernichtungslager für die dort lebenden Donauschwaben eingerichtet wurden. Dieses Thema wurde jedoch schon viel früher als das der Malenkij Robot der Ungarndeutschen aufgearbeitet. Über die traurige Nachkriegsgeschichte der Donauschwaben kann man aber nicht nur in der entsprechenden historischen Fachliteratur lesen. Da nach der Auflösung der Lager 1947 Hunderttausende von Überlebenden über Ungarn nach Österreich und Westdeutschland flohen, wurde ihre Geschichte auch in zahlreichen Romanen und anderen Prosatexten aufgearbeitet. Dieser von der österreichischen Autorin Gabriele Vasak geschriebene und 2016 herausgegebene Roman befasst sich mit der tragischen Nachkriegsgeschichte der Donauschwaben der Vojvodina, jedoch mit einer außergewöhnlichen Perspektive. Wir begleiten Marlene, die 80-jährige donauschwäbische Protagonistin, und ihre Tochter Klara auf eine Autoreise aus Österreich ins heutige Serbien, wobei das Land noch die Spuren des letzten Krieges trägt. Der Anlass für die Reise ist der Brief von Jelena, einer serbischen Freundin aus Marlenes Kindheit. Während der Reise kommen in Marlene nicht nur die Erinnerungen an ihre Kindheit in Hodschag und an den Vernichtungslager in Gakovo, sondern auch die an die Flucht nach Österreich auf. Die erzählte Vergangenheit vermischt sich dabei ständig mit der Gegenwart der Reise. Teile werden zudem auch aus der Perspektive von Klara und von Jelena erzählt. Wie das Leben in Österreich und in der Vojvodina nach der Flucht weiterging, wird ebenfalls erörtert. Bei der Betrachtung der einst so prunkvollen und jetzt so heruntergekommenen donauschwäbischen Häuser und Straßen wird für Marlene klar, dass da nichts mehr so ist, wie es früher gewesen ist. Trotzdem kommt für sie vieles vertraut vor und wird auch in ihren Erinnerungen wach.
Wie kann man die traurige Vergangenheit überhaupt aufarbeiten? Kann es eine Versöhnung zwischen Täter und Opfer geben? Kann das Wiedersehen gut gelingen? Macht eine solche Reise überhaupt einen Sinn? All diese Fragen werden in dieser einzigartigen, zwar fiktiven, jedoch sehr realitätsnahen Geschichte beantwortet.
Wir empfehlen dieses Werk allen, die die Welt der Vernichtungslager und die Nachkriegsgeschichte der Donauschwaben im einstigen Tito-Jugoslawien kennenlernen möchten.
Gabriele Vasak: Den Dritten das Brot
Wien : Septime, 2016.
141.S.
Sprache: deutsch
Die empfohlenen Bücher sind in der Sammlung der Ungarndeutschen Bibliothek – wenn nichts weiteres Angegeben – nur zur Leihe zugänglich.
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